Das Wachsfigurenkabinett
Das Wachsfigurenkabinett
Deutschland 1924, 83 Minuten | HD-s/w restaurierte Fassung
Anlässlich der 70. Internationalen Filmfestspiele Berlin wurde Das Wachsfigurenkabinett von Paul Leni in einer neuen digitalen Restaurierung der Deutschen Kinemathek und der Cineteca di Bologna erstmals präsentiert. Die von ZDF in Zusammenarbeit mit Arte in Auftrag gegebene neue Musik von Bernd Schultheis, Olav Lervik und Jan Kohl feierte mit dem Ensemble Musikfabrik unter der Leitung der schweizerisch-australischen Dirigentin Elena Schwarz ihre Uraufführung.
Ein junger Dichter erhält vom Besitzer eines Panoptikums den Auftrag, Geschichten über drei seiner Wachsfiguren zu verfassen: Harun al-Raschid, Iwan den Schrecklichen und Jack the Ripper. In den drei Episoden des Films ist die Liebe eines jungen Paares (in dem stets der junge Dichter und die Tochter des Jahrmarktbudenbesitzers wiederzuerkennen sind) von den drei genannten Unholden bedroht: Den Kalifen Harun al-Raschid gelüstet es nach der Frau eines Bäckers, der Zar Iwan verschleppt eine Braut sowie ihren Bräutigam in seine Folterkammer und Jack the Ripper lauert der Tochter des Jahrmarktbudenbesitzers auf … Bei seiner letzten Spielfilmregie vor dem Wechsel nach Hollywood 1926 ließ sich der Grafiker, Bühnen- und Szenenbildner Paul Leni (1885–1929) stark vom filmischen Expressionismus anregen, den er zugleich zur Vollendung führte. Künstlerisch abstrahierte Kulissen, fantastische Kostüme, kameratechnische Extravaganzen und ein bewusst outriertes Spiel der drei Hauptdarsteller Emil Jannings, Conrad Veidt und Werner Krauß – all das zusammen ließ "Das Wachsfigurenkabinett" zu einer Sternstunde des Weimarer Stummfilmkinos zwischen Kunsterlebnis und Jahrmarktsvergnügen werden.
Quelle: 70. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
Das Wachsfigurenkabinett ist ein Höhepunkt und zugleich fast der Abschluss des expressionistischen Films. Traumhaft verspielte Filmarchitektur, gestaltet von Paul Leni, für eine zwischen Realität und Halluzination fluktuierende Geschichte, in der Emil Jannings lustvoll chargiert, Conradt Veidt düsteren Schrecken verbreitet und der unheimliche Werner Krauss dem biederen Wilhelm Dieterle nachsetzt. Einfach unvergleichlich (Rainer Rother, Leiter der Retrospektive und Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek).
Die neue Filmmusik der Komponisten Bernd Schultheis, Olaf Lervik und Jan Kohl kombiniert fünf akustische Instrumente (Klarinette, Posaune, Viola, Gitarre, Perkussion) mit zwei Keyboards und Live-Elektronik, um das Wachsfigurenkabinett in all seinen fantastischen und düsteren Arabesken auszuleuchten. So wie der Film viele Facetten des Kunst- und Genre-Kinos vereint, bewegt sich auch die Musik auf einem schmalen Grat zwischen Neuer Musik und Filmmusik, Volksmusik und Pop. In der Auftragsarbeit von ZDF/ARTE entwerfen die Komponisten ein gleichermaßen intelligentes wie vergnügliches Vexierspiel musikalischer Formen und Farben.
Das Wachsfigurenkabinett
Filmmusik für kleines Ensemble von Bernd Schultheis, Olaf Lervik und Jan Kohl (2020)
Besetzung:
1 Klarinette Bb und Eb, 1 Doppeltrichter-Posaune/Euphonium, 1 Gitarre (auch E-Bass fretless, Mundharmonika, Okarina), 1 Viola (auch Mundharmonika, Okarina), 2 Synthesizer (auch Mundharmonika, Okarina), 1 Schlagzeug (auch Mundharmonika, Okarina
Die deutsche Originalfassung des Wachsfigurenkabinetts ist nicht überliefert. Für die digitale Bearbeitung standen zeitgenössische Nitratkopien der englischen, französischen und tschechischen Fassung sowie davon gezogene weitere filmische Elemente zur Verfügung. In einem Kooperationsprojekt der Deutschen Kinemathek und der Cineteca di Bologna wurde der Film bei L’Immagine Ritrovata in 4K-Auflösung digitalisiert und in 2K restauriert. Das Farbkonzept sowie die englischen Zwischentitel basieren auf einer viragierten und getonten Nitratkopie aus dem BFI, die als Hauptelement für die Restaurierung diente. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) förderte die digitale Restaurierung.
Bernd Schultheis (*1964)
studierte musikwissenschaften, kunstgeschichte und philosophie an der Ruhr-Universität Bochum sowie Komposition und Gitarre an der Guildhall School of Music and Drama in London. Für die Sender arte / 3sat / ZDF komponierte er neue Musiken zu Filmklassikern, darunter Les Deux Timides von René Clair (F 1928), Sodom und Gomorrha von Michael Kertesz (A 1922), Anders als die Anderen von Richard Oswald und Magnus Hirschfeld (D 1919), Faust von Friedrich Wilhelm Murnau (D 1926) und Metropolis von Fritz Lang (D 1927). 1998 kopmponierte er eine elektroakustische Filmmusik für die Experimentalfilmproduktion Signalstörung (R: Thomas Mank), die mit dem hessischen Filmpreis in Gold ausgezeichnet wurde. 2003 bis 2004 kuratierte er die musikalische Ausgestaltung der Stanley Kubrick-Ausstellung des DFF Deutsches Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt am Main. Seit 2004 liegt der Schwerpunkt seines Schaffens bei der Komposition von Instrumental- und Vokalmusik sowie Musiken für Tanztheater.
Olaf Lervik (*1982)
ist französischer und norwegischer Abstammung. Er studierte Komposition in Weimar und Stuttgart sowie Komposition für Film, Theater und Medien in Zürich. Olav Lervik produziert Musik und Sound für Film, Spiele und interaktive Installationen. Er unterrichtet Komposition für Film, Theater und Medien an der Hochschule der Künste Zürich. Er hat zahlreiche zeitgenössische und elektroakustische Stücke komponiert und ist auch als Arrangeur sehr aktiv. Von Peter Eötvös hat er mehrere Opernklavierauszüge arrangiert und eine Vielzahl von Stücken aus Filmpartituren transkribiert. Er beteiligte sich an der Restaurierung der Originalpartituren aus den berühmten Filmen Metropolis (1928) und Nibelungen (1926). Außerdem arbeitete er mit Don Davis an der Matrix - Live in Concert.
Jan Kohl (*1991)
Experimentierfreude, Innovation und eine solide Ausbildung in Komposition bildet den Grundstein seines musikalischen Schaffens. Letztere führte ihn an die Folkwang Universität der Künste in Essen, an der er Integrative Komposition studierte. Schwerpunkt des Studiums sind instrumentale und elektronische Komposition sowie Visualisierung (Kunstvideo). Anschließend studierte er Komposition für Film, Theater und Medien an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) in der Schweiz. Zusammenarbeiten u.a. mit Ensemble musikFabrik, Baltic Sea Philharmonic Orchestra, Folkwang Sinfonie Orchester, Internationalen Ensemble Modern Akademie, Neues Orchester Basel sowie Solo-Instrumentalisten.
(auch: Paul Josef Levi), am 8. Juli 1885 in Stuttgart geboren, ist als Grafiker, Bühnenbildner, Szenenbildner und Regisseur in der Filmbranche tätig. Ihm wird ein maßgeblicher Einfluss auf den expressionistischen Film in Deutschland zugeschrieben. Der künstlerisch begabte Bankierssohn arbeitet nach dem Besuch der Akademie der Bildenden Künste ab 1910 zunächst als Grafiker für diverse Filmtheater und -produktionen. Ab 1914 beginnt er, eigene Filme zu drehen. Das Wachsfigurenkabinett (1924) wird sein wichtigstes Werk. Ab 1926 arbeitet Paul Leni erfolgreich in Hollywood. Dort stirbt er 1929 an den Folgen einer Blutvergiftung.
Credits
- Regie:
Paul Leni, Leo Birinski (Spielleitung) - Drehbuch:
Henrik Galeen - Kamera:
Helmar Lerski - Einspielung:
Emil Jannings, Conrad Veidt, Werner Krauss u.v.a. - Musik:
Bernd Schultheis, Olav Lervik, Jan Kohl (im Auftrag von ZDF/Arte) - Restaurierung:
Deutsche Kinemathek, Cineteca di Bologna - Redaktion:
Nina Goslar (ZDF) - Produzent:
Thomas Schmölz - Produktion:
2eleven music film