Johan
Johan
Schweden 1921, 84 Minuten | s/w, viragiert
Dramatische Dreiecksgeschichte in freier skandinavischer Natur: Marit, eine junge Frau, brennt kurz nach der Hochzeit mit einem Mann durch, der als Saisonarbeiter in die einsame Gegend gekommen ist. Erst spät erkennt sie, wer sie wirklich liebt.
Johan, ein junger Bauer, heiratet die scheue, verschlossene Marit, die als Magd auf dem Hof seiner Eltern arbeitet. Seine Mutter ist gegen die Verbindung, und auch Marit scheint weniger aus Liebe, denn aus Angst in die Ehe eingewilligt zu haben, das einzige Heim zu verlieren, das sie als Waise je hatte. Eines Tages taucht ein Fremder auf, der ihr früher schon einmal Avancen machte. Marit wehrt sich gegen sein Liebeswerben, brennt dann aber mit ihm durch. Ihre Flucht führt über reißende Stromschnellen und endet, als Johan den Fremden zum Kampf stellt. Johan gewinnt, muss jedoch erkennen, dass Marit dem Fremden freiwillig gefolgt ist. Marit bereut ihren Entschluss und fleht Johan an, sie nicht zu verlassen. Der Versöhnung folgt die Rückkehr.
Mauritz Stillers Verfilmung von 1921 ist die erste von bisher vier filmischen Adaptationen des Romans Juha (1911) von Juhani Aho, einem modernen Klassiker der finnischen Literatur. In Ahos Roman muss Juha erkennen, dass seine Frau aus freien Stücken dem Fremden folgte und nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes bei ihm bleiben will. Juha begeht Selbstmord. In Stillers Filmfassung gestaltet sich der Verlauf ungleich versöhnlicher, ohne jedoch die tiefen Konflikte melodramatisch aufzuweichen. Ahos Roman diente auch zwei Opern und verschiedenen Theateradaptationen als literarische Vorlage. Die jüngste Verfilmung stammt von Aki Kaurismäki: JUHA aus dem Jahre 1999; diesen Film schnitt Kaurismäki auch in einer Stummfilmversion für Live-Begleitung mit Kino-Orchester.
Von ihm stammt der unschlagbare Satz: ”Die Weltliteratur ist voll von Dreiecks-geschichten, aber nur sehr wenige können es mit Juhani Ahos Juha (1911) aufnehmen, was Tiefe von Emotionen und Verständnis für alle drei Parteien betrifft. Die Handlung ist gradlinig und stark erzählt, besticht zugleich durch ihre Detailfülle. Sie wartet eigentlich nur darauf, von einer Verfilmung ruiniert zu werden.” (Aki Kaurismäki)
Einem Feuer in der Svensk Filmindustri fielen 1941 sowohl das Originalnegativ als auch Kopien von Stillers Originalversion zum Opfer. Lange Zeit waren nur Fragmente von JOHAN bekannt. Henri Langlois, Mitbegründer der Cinémathèque Française, betrachtete JOHAN als einen der drei wichtigsten Filme, die als verschollen galten. In den 60er Jahren fand sich eine stark gekürzte Vorführkopie. Die Zwischentitel konnten anhand von noch vorhandenen Titellisten rekonstruiert werden. Nachdem der Film lange Zeit nur in einer Schwarz-Weiß-Fassung zu sehen war, wird in der nun vorliegenden, orange viragierten Kopie das Leuchten der Sommernacht erst richtig sinnfällig.
Die am Tage der Uraufführung zu JOHAN gespielte Musik von Rudolf Sahlberg ist nicht komplett überliefert. Sahlberg hatte in seine Komposition zum einen Motive aus Werken von Jan Sibelius, Bedrich Smetana und Johan Halvorsan einfließen lassen, hatte zum anderen auch auf Motive einer weiteren Partitur zurückgegriffen, die Armas Järnefelt zu SÅNGEN OM DEN ELDRÖDA BLOMMAN, dem Vorgänger zu JOHAN geschrieben hatte. Die neue Musik zur restaurierten Fassung von JOHAN komponierte der russische Komponist Alexander Popov für Flöte, Klarinette/Bassklarinette, Horn, Trompete, Viola, Cello, Harfe, Klavier und Schlagzeug. Er bedient mit seiner Musik keine illustrativen Konventionen der Filmmusik, respektiert vielmehr das filmische Original. »Der episch-lyrisch erzählte Film wirkt auch durch eine einfühlsame, den jeweiligen Schauplätzen angepassten Musik«, schrieb die Neue Zürcher Zeitung zur Erst-Sendung des Films mit der Musik von Alexander Popov auf ARTE. »So harmonisieren die psychologisch-emotionalen Momente der als Fünfakter angelegten Geschichte durch zurückgenommene, auf subtile Zwischentöne und innere Spannung konzentrierte Akzente.«
Alexander Popow
Johan
Filmmusik zum gleichnamigen Stummfilm von Mauritz Stiller (1921)
Besetzung für Ensemble:
1(a.picc).0.1.0 – 1.1.0.0 – Schlagzeug, Harfe, Klavier – Streicher (0.0.1.1.0)
Schlagzeug: Pauken, BD, SD, Cymbals, Glockenspiel, Marimba, Vibraphon, Röhrenglocken, Tam-tam, Claves, Maracas, Woodblock, Triangel, Flexatone
Alexander Popov begann mit 17 Jahren ein Kompositions-Studium, das ihn später an das St. Petersburger Konservatorium führte. Zeitgleich nahm er das Studium der Medizin auf, das er 1980 abschloss. Bis letztes Jahr übte Alexander Popov beide Berufe nebeneinander aus. 1988 graduierte er am Komponisten-Kolleg des St. Petersburger Konservatoriums.
Alexander Popov hat zahlreiche Kompositionen verfasst, die auch in Westeuropa, den U.S.A. und Neuseeland zur Aufführung gebracht wurden. Die wichtigsten Titel sind Sinfonia Brevis (für Orchester), Passio (für französisches Horn, Orgel und Percussion), Von Leben und Tod (Zyklus für Sopran und Orchester), Requiem (für 4 Stimmen und ein Ensemble für Alte Musik), Sinfonia da Camera in memoriam Frescobaldi, Affektenlehre (Symphonie für 12 Musiker), Sreda (Filmmusik zu einem Dokumentarfilm von Viktor Kossakovsky), Semlja (Partitur zu einem Stummfilm von Alexander Dowschenko). Daneben entstanden Auftragsarbeiten für das Ensemble Alea III (Boston), das Solisten-Ensemble des Mariinskij Theaters (St. Petersburg) und das Ensemble Musiques Nouvelles (Brüssel).
Mauritz Stiller (geboren als Moshe Stiller, 17. Juli 1883 - 8. November 1928) war ein finnischer Filmregisseur jüdischer Herkunft. Stillers Karriere begann 1912 in der schwedischen Filmindustrie, als er zahlreiche Kurzfilme schrieb und inszenierte. In die internationale Filmgeschichte ging er wegen seiner schwedischen Filmklassiker ein, wie HERR ARNES PENGAR/HERRN ARNES SCHATZ (S 1919), EROTIKON (S 1920), JOHAN (S1921) oder GÖSTA BERLING (S 1924). Als Metro-Goldwyn-Mayer ihn als Regisseur nach Hollywood einlud, kam er mit seiner Neuentdeckung Greta Garbo. Ihr Künstlername Greta Garbo ging vermutlich auf seinen Vorschlag zurück, bürgerlich hieß sie Greta Gustafsson. In den USA entstanden seine Filme THE TEMPTRESS/DÄMON WEIB (USA 1926), HOTEL IMPERIAL/HOTEL STADT LEMBERG (USA 1927), THE WOMAN ON TRIAL/QUALEN DER EHE (USA 1927) und der unvollendet geblieben Film THE STREET OF SIN/DER KÖNIG VON SOHO (USA 1928). Nach häufigen Meinungs-verschiedenheiten mit den Studioleitern von MGM und Paramount Pictures kehrte Stiller nach Schweden zurück, wo er bald darauf starb.
Der unter dem Pseudonym Juhani Aho bekannt gewordene finnische Schriftsteller Johannes Brofeldt wurde am 11. September 1861 in Lapinlahti (Savo) als Sohn eines Landgeistlichen geboren. Von 1897 an lebte Aho als Finnlands erster freier (d.h. professioneller finnischsprachiger) Schriftsteller. Er zog sich an den Tuusula-See zurück, wo um ihn herum durch Zuzug der befreundeten Künstler J.H. Erkko, Pekka Halonen, Eero Järnefelt und Jean Sibelius eine wichtige Künstlerkolonie entstand. 1891 hatte er die Malerin Venny Soldan-Brofeldt (1863-1945) geheiratet.
In seinen ersten Werken, die um die Mitte der 1880er Jahre entstanden und sich vor allem an skandinavischen und französischen Vorbildern (Ibsen, Bjørnson, Maupassant, Daudet) orientierten, vertrat Juhani Aho einen Realismus mit stark naturalistischen Zügen und profilierte sich als zentraler Vertreter der liberal gesinnten Gruppe Nuori Suomi (Junges Finnland). Dagegen sind seine späteren Werke eher der nationalromantischen Strömung in der finnischen Kunst verpflichtet, wenden sich thematisch verstärkt der finnischen Geschichte und der Herausbildung eines finnischen Nationalbewusstseins zu. Als Hauptwerk Juhani Ahos gilt sein Roman Juha (1911), der nach Stillers erster Verfilmung JOHAN (SVE 1921) und vor der bisher letzten durch Aki Kaurismäki JUHA (FIN 1999) noch von Nyrki Tapiovaara (FIN 1937, produziert von Juhanis Sohn Heikki Aho) und von Toivo J. Särkkä (FIN 1956) - jeweils unter seinem Originaltitel - verfilmt worden ist.
Credits
- Regie:
Mauritz Stiller - Drehbuch:
Mauritz Stiller, Arthur Nordén nach Motiven des Romans Juha (1911) von Juhani Aho - Kamera:
Hendrik Jaenzon - Bauten:
Axel Esbensen - Darsteller:
Jenny Hasselqvist (Marit), Mathias Taube (Johan), Hildegarde Harring (Johans Mutter), Urho Somersalmi (Der Fremde), Lilly Berg (Magd), Nils Fredrik Widegren (alter Fischer) - Restaurierung (2000):
Cinemateket-Svenska Filminstitutet - Musik (2000):
Alexander Popov (i.A. von ZDF/ARTE) - Redaktion:
Nina Goslar - Produktion:
Christian Schwalbe