Kohlhiesels Töchter

D 1920, 64 Minuten | s/w

Gastwirt Matthias Kohlhiesel hat zwei ungleiche Töchter – die kratzbürstige Liesel und die hübsche Gretel (beide gespielt von Henny Porten). Xaver (Emil Jannings) und Seppl (Gustav von Wangenheim) bemühen sich beide um Gretel, doch Vater Kohlhiesel will erst seine ältere Tochter unter die Haube bringen.


Gastwirt Matthias Kohlhiesel hat zwei ungleiche Töchter – die kratzbürstige Liesel und die hübsche Gretel (beide gespielt von Henny Porten). Xaver (Emil Jannings) und Seppl (Gustav von Wangenheim) bemühen sich beide um Gretel, doch Vater Kohlhiesel will erst seine ältere Tochter unter die Haube bringen. Draufgänger Xaver heiratet Liesel – anfangs nur, um an Gretel zu gelangen. Halb eingeschüchtert von Xavers brachialen Auftritten als neuer Herr im Haus, halb verliebt in ihn, mausert sich Liesel zur liebevollen Ehefrau und gewinnt damit Xavers Herz. Der gibt Gretel auf, und damit hat Seppl freie Bahn ins Eheglück mit Gretel.

»Die populärste von allen Komödien, die ich in Deutschland gemacht habe, war Kohlhiesels Töchter. Es war nichts anders als ‘Der Widerspenstigen Zähnung’ in die Bayerischen Berge verpflanzt. Eine typisch deutsche Sache.« (Brief von Ernst Lubitsch an seinen Filmographen Theodor Huff, 1947). Gedreht wurde der Film im Januar und Februar 1920 in Grainau bei Garmisch. Ernst Lubitsch war passionierter Bergsportler. Bei seinem hohen Arbeitspensum von bis zu 6 Filmen im Jahr drehte er auch im Urlaub. Vier seiner deutschen Stummfilme spielen in den Bergen: Der Rodelkavalier (1918), Meyer aus Berlin (1918), Romeo und Julia im Schnee (1919/29) und Die Bergkatze (1921).

Mit Kohlhiesels Töchter adaptierte Lubitsch ein Volksstück, genauer: einen bäuerlichen Schwank zu einer überdrehten Filmkomödie, die mit derben Späßen und frivolen Anspielungen nicht geizt. Dass dies so gut funktioniert, hat mit dem exzellenten Cast zu tun. Jannings und Lubitsch waren alte Theaterkollegen aus dem Deutschen Theater, Henny Porten war in den 1910er Jahren neben Asta Nielsen der größte Star im deutschen Kino. Mit ihr und Emil Jannings hatte Lubitsch 1919 seine Adaption des Gerhard-Hauptmann-Stücks Rose Bernd realisiert, später wirkten beide in seinem Historienfilm Anna Boleyn mit. Jakob Tiedtke hatte ebenfalls langjährige Bühnenerfahrung im Deutschen Theater und Königlichen Schauspielhaus und gehörte zu den Schauspielern, die Lubitsch immer wieder in seinen deutschen Filmen einsetzte. Gustav von Wangenheim war Schüler von Max Reinhardt und sollte 1922 als Hutter in Nosferatu in die Filmgeschichte eingehen. Mit Hanns Kräly als Autor der Drehbuchs, Jack Winter als Filmarchitekt und Theodor Sparkuhl an der Kamera waren weitere langjährige Weggefährten von Ernst Lubitsch am Werk und trugen wesentlich zum Erfolg dieser winterlichen Filmkomödie bei.

Nach der Uraufführung wurde der Film leicht überarbeitet, um das Jugendverbot der Filmprüfstelle Berlin zu umgehen. Das Originalnegativ des Films ist nicht erhalten, nur zwei, vom Kameranegativ gezogene Kopien späterer Herstellung. Die älteste erhaltene Kopie ist eine viragierte Nitrokopie mit dänischen Zwischentiteln. Die aktuelle 4K-Restaurierung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung beruht auf diesen drei Nitrokopien aus dem Bundesarchiv und dem Dänischen Filminstitut. Die dänische Verleihkopie diente als Referenz für den Farbplan und die Farbrekonstruktion, Grundlage für die Schnittrekonstruktion war die Zensurkarte der jugendfreien Fassung.

Der Film gehört zum Bestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. 1966 in Wiesbaden gegründet, bewahrt die Stiftung ein einzigartiges kulturhistorisches Filmererbe: einen in sich geschlossenen Film-stock, der Kopien und Materialien der ehemaligen Produktionsfirmen Ufa, Universum-Film, Bavaria, Tobis und Berlin-Film – samt den damit verbundenen Rechten – umfasst.  Der Filmbestand repräsentiert über sechs Jahrzehnte deutscher Filmgeschichte, von den 1910er bis in die 1960er Jahre. Dazu gehören Filme bedeutender Regisseure wie Fritz Lang, Detlev Sierck,  Friedrich Wilhelm Murnau, Ernst Lubitsch.

Die neue Filmmusik von Diego Ramos Rodríguez für Salonorchester entstand im Auftrag von ZDF/ARTE und verarbeitet Motive einer historischen Kino-Musik von Kohlhiesels Töchter, ein Potpourri von Giuseppe Becce aus damaligen Hits der Volksmusik und Operette von 1920. Diego Ramos komponierte seine Musik auf der metrischen Basis von Walzer, Ländlern und Polkas, die er in der Instrumentierung weiterführt und persifliert, Klangfarben der Volksmusik werden auf klassische Konzertinstrumente transponiert. Mit ihrer betonten Rhythmisierung treiben die zitierten Volksmusik- und Operettenstücke die Handlung voran. Als leidenschaftlicher Filmkomponist beherrscht Diego Ramos das Spiel mit genretypischen Elementen. Seine Musik begleitet den Film mit musikalischem Witz und doppelbödigen Zitaten, sie vermittelt historische Filmmusikpraxis mit neuzeitlichen Kompositionstechniken und lädt zu einer Wiederentdeckung von Lubitschs Stummfilmklassiker ein.

Kohlhiesels Töchter
Neukomposition und Bearbeitung von Diego Ramos Rodríguez (2024)
einer historischen Musikbegleitung von Giuseppe Becce zum gleichnamigen Film von Ernst Lubitsch (1920)

Besetzung:

1(auch Picc.).0.2(1. auch Es, A, 2. BKla).0 - 0.1.1.0 - sz - Streichquintett (1.1.1.1.1)

Notenverlag: © 2024 2eleven edition musiQ

Ernst Lubitsch begann seine künstlerische Laufbahn 1911 an Max Reinhardts Deutschem Theater, seine erste Filmrolle hatte er in Carl Wilhelms Komödie Die Firma heiratet. 1914 inszenierte er seinen ersten Film, bei dem er zugleich die Hauptrolle übernahm: Fräulein Seifenschaum. Ab 1917 Zusammenarbeit mit Emil Jannings, u.a. bei den Filmen Die Augen der Mumie Ma (1918), Madame Dubarry (1919) Anna Boleyn (1920) und Das Weib des Pharao (1921). Ab 1923 arbeitete Lubitsch in den USA. In den ersten drei Jahren war er bei Warner unter Vertrag und inszenierte fünf Filme, darunter The Marriage Circle und Lady Windermere‘s Fan. Ab 1928 war er für Paramount tätig. Es folgten 1929 - 1931 Filmoperetten wie The Love Parade, Monte Carlo und The Smiling Lieutenant. Im Januar 1935 wurde Lubitsch von der NS-Regierung die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. In den folgenden Jahren entstanden seine größten Erfolgsfilme für verschiedene Studios wie Angel mit Marlene Dietrich (1937), Bluebeard‘s Eighth Wife mit Claudette Colbert (1938), Ninotchka mit Greta Garbo (1939) und To be or not to be (1942). Seinen ersten Farbfilm inszenierte er 1943 mit Heaven Can Wait (1943). 1947 erhielt Ernst Lubitsch einen Special-Oscar „for his distinguished contributions to the art of motion picture“. Seinen letzten Film That Lady in Ermine konnte er nicht vollenden, Otto Preminger führte ihn zu Ende. Ernst Lubitsch starb am 30.11.1947 in Hollywood, er ist auf dem Friedhof Forrest Lawn beigesetzt.

Diego Ramos Rodríguez absolvierte ein Violin- und Kompositionsstudium in Madrid, Düsseldorf und Frankfurt, wo er gegenwärtig lebt und arbeitet. Seine Kompositionen werden international von renommierten Klangkörpern wie dem RSO Wien oder ensemble modern Frankfurt aufgeführt. Neben seiner Tätigkeit im zeitgenössischen Konzertbereich hat er sich mit multimedia-Projekten, Performances und Filmmusik - seine letzte Filmmusik Die Theorie von Allem ist für den Musikpreis 2024 der Deutschen Filmkritik nominiert - als ein ausgesprochen vielseitiger Musiker profiliert. Seit 2015 beschäftigt er sich als Bearbeiter und Instrumentalist mit Stummfilm-Musik und deren Rekonstruktion. 


Interview DLF Kultur "Kohlhiesels Töchter" vom 16.02.2024


Credits

  • Regie:
    Ernst Lubitsch
  • Drehbuch:
    Hanns Kräly, Ernst Lubitsch
  • Kamera:
    Theodor Sparkuhl
  • Bauten:
    Jack Winter
  • Produktion:
    UA: 09.03.1920 - Ufa Palast am Zoo
  • Darsteller:
    Henny Porten (Gretel / Liesel), Emil Jannings (Xaver), Gustav v. Wangenheim (Seppl), Jakob Tiedtke (Vater Kohlhiesel), Wilhelm Prager (Hausierer)
  • Filmrestaurierung (2023):
    Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
  • Musik (2024):
    Diego Ramos Rodríguez
  • Einspielung
    Ensemble der Berliner Philharmoniker
  • Dirigent:
    Simon Rössler
  • Produzent:
    Thomas Schmölz, 2eleven music film
  • UA der neuen Fassung:
    18.02.2024, Berlinale Classics
  • Koproduktion:
    Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, ZDF in Zusammenarbeit mit ARTE in Kooperation mit Stiftung Berliner Philharmoniker und 2eleven music film
     

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