Orlacs Hände

Österreich 1924 | ca. 95 Minuten | HD-s/w-restaurierte Fassung

Das Projekt

Der Film gehört zu Klassikern des Horrorfilms, halb Kunstfilm, halb Splatter-Film: ein Pianist  gerät in die Fänge eines gerissenen Verbrechers, der den psychisch labilen Künstler auf einen Horrortrip schickt und ihn zum vermeintlichen Mörder seines Vaters werden lässt. ORLACS HÄNDE ist mit den beiden Stummfilm-Ikonen Conrad Veidt und Fritz Kortner als seinem sinistren Gegenspieler hochkarätig besetzt und markiert einen der Höhepunkte des expressionistischen Stummfilms.

Die Vorlage für Orlacs Hände stammt von dem französischen Phantasy-Autor Maurice Renard. Sein Buch erschien 1920 und erlebte vier weitere Verfilmungen: 1935 unter dem Titel Mad Love mit Peter Lorre, drei weitere in den 1960er und 90er Jahren. Kaum eines dieser Remakes reicht an das Original von 1924 heran.



Bei einem Zugunglück verliert der Konzertpianist Paul Orlac beide Hände. Um ihm das Klavierspielen weiter zu ermöglichen, transplantiert man ihm die Gliedmaßen des soeben hingerichteten Raubmörders Vasseur. Operation und Heilung verlaufen reibungslos, doch als Orlac erfährt, dass er „Mörderhände“ trägt, quält ihn die Vorstellung, unter dem Einfluss des soeben hingerichteten Raubmörders zu stehen. Orlac droht wahnsinnig zu werden, als sein Vater tot aufgefunden wird - erstochen mit einem Dolch, der Vasseurs Fingerabdrücke trägt. Erst als der Mord als die Tat eines Verbrechers aufgeklärt wird, der für den Mord an Orlacs Vater ebenso verantwortlich ist wie für die Tat, wegen der Vasseur hingerichtet wurde, ist Orlac erlöst.

Die neue Musik, geschrieben für Streicherensemble, zwei Klaviere und Sampler, erkundet die psychologische Entwicklung des Protagonisten, exemplifiziert an seinem, auf drei Instrumente verteilten Klavier: neben dem klassischen Klavier gibt es ein präpariertes Klavier, quasi ein ‚dunkles Schattenklavier, sowie einen elektronischen Sampler. Basis der elektronischen Klangerweiterung sind perkussive Klänge aus dem Innenraum des Klaviers, in denen die Schreckensbilder und Angstgefühle des Protagonisten nachschwingen. Johannes Kalitzke arbeitet in seiner Filmmusik durchaus traditionell mit Leitmotiven. Orlac wird z.B. durch die Paraphrasierung einer bereits im Film verankerten Nocturne von Chopin porträtiert; je nach dramaturgischer Situation wird diese Musik wie eine durchgehende “idee fixe” stetig verwandelt. Paul Orlac ist ein frühes Beispiel für einen traumatisierten „Untoten“ seines eigenen, medialisierten Erfolgs, Johannes Kalitzke hat sich mithilfe der Samples in den Kopf und die dunklen Räume des Paul Orlac hineinversetzt. Mit seiner Musik bringt er dem Publikum von heute nicht nur das phantastische cineastische Werk von Robert Wiene nahe, sondern lässt darüber hinaus die Suggestivität von Stummfilm als Kunstform erleben, die auf dem schmalen Grat von Traum und Wachbewusstsein angesiedelt ist.

ORLACS HÄNDE

Filmmusik für Streicherensemble, 2 Klavier und Sampler
von Johannes Kalitzke (2017)

Besetzung:

Streicher (5.4.4.3.2), 2 Klavier, 1 Keyboard (Sampler)

Ein Auftragswerk von ZDF/ARTE und dem Stuttgarter Kammerorchester.

Dass der in seiner Entstehungszeit hochgelobte Film nach 1945 überwiegend nur als spätexpressionistischer Nachzieher des Caligari-Regisseurs Robert Wiene gewertet wurde, hat mit der lange Zeit unzureichenden Überlieferung des Films zu tun. 1995 wurde im Belgrader Filmarchiv eine 35-mm-Kopie mit originalen deutschen Zwischentiteln entdeckt, die sich als Grundlage für eine umfassende Rekonstruktion anbot. Da außerdem die Zensurkarte erhalten ist, die über den genauen Wortlaut der Originalfassung Aufschluss gibt, konnte eine inhaltlich folgerichtige und integrale Fassung hergestellt werden. Gegenüber der Originalfassung fehlen noch ca. 8 Minuten, die nach bisherigem Kenntnisstand und der umfassenden Sichtung aller in europäischen Archiven bekannten Orlac-Kopien als verloren gelten müssen.

Robert Wiene (1873-1938) kam nach einem Jurastudium übers Theater zum Film. Als Regisseur von Das Cabinet des Dr. Caligari (1919) ging er in die Filmgeschichte ein und inszenierte bis 1926 eine Serie hochkarätiger Filme wie Genuine (1920), Raskolnikow (1923), Orlacs Hände (1924) und zuletzt die Filmadaption der Strauss-Oper Der Rosenkavalier, die im Januar 1926 in der Semperoper Premiere feierte. 1930 entstand Wienes erste Tonfilmarbeit Der Andere nach einem Bühnenstück von Paul Lindau mit Fritz Kortner in der Hauptrolle. In der NS-Zeit musste Robert Wiene emigrieren. Über einen Zwischenaufenthalt in London ging er nach Paris, wo er sich zusammen mit Jean Cocteau erfolglos um ein Tonfilm-Remake von Das Cabinet des Dr. Caligari bemühte. Es sollte bis 1938 dauern, bis er für die Spionagegeschichte Ultimatum wieder auf dem Regiestuhl saß. Am 17. Juli 1938, kurz vor dem Ende der Dreharbeiten (die danach von Robert Siodmak fertiggestellt wurden), starb Robert Wiene 65-jährig in Paris.

Johannes Kalitzke (*1959) studierte Klavier, Dirigieren und Komposition an der Musikhochschule in Köln, darauf folgt ein Studium der elektronischen Musik. Er gilt als ausgezeichneter Interpret klassischer und moderner Musik und hat regelmäßig Gastdirigate bei den im Bereich der zeitgenössischen Musik führenden Ensembles, Sinfonieorchestern und Opernhäusern. Schwerpunkt seiner musikalischen Arbeit ist jedoch die Komposition, insbesondere für Oper – zuletzt als Auftragswerk der Oper Heidelberg PYM – und Kammerensemble. Seine orchestrale Filmmusik für DIE WEBER (D 1927) ist im Moment die international meistgespielte Stummfilmmusik, u.a. vom ensemble modern; sie wurde im Juli 2013 von ZDF/ARTE koproduziert. Es folgten an Stummfilmmusiken: SCHATTEN (D 1923), uraufgeführt bei den Tagen für neue Kammermusik 2016, Witten, als Koproduktion ZDF/ARTE und WDR, ORLACS HÄNDE (A 1924), uraufgeführt in Salzburg (aspekte) 2018 und auf ARTE im Jahr 2019 gesendet. Sein jüngstes Werk mit Film, die Kirchen-Filmoper JEANNE D‘ ARC (F 1928), wurde am 20.08.20 beim Carinthischen Sommer 2020 uraufgeführt.

Credits

  • Regie:
    Robert Wiene
  • Drehbuch:
    Ludwig Nerz
  • Kamera:
    Viktor Gluck 
  • Darsteller*innen:
    Conrad Veidt (Paul Orlac, Pianist),  Alexandra Sorina (Yvonne Orlac, seine Frau), Fritz Kortner (Nera) u.a.
  • Restaurierung (2019):
    Filmarchiv Austria
  • Musik:
    Johannes Kalitzke (2019)
  • Redaktion:
    Nina Goslar
  • Produzent:
    Thomas Schmölz
  • Produktion:
    2eleven music film

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